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57 Jahre Arbeitskreis für deutsche Dichtung
(Wolf-Dieter Tempel)

Der Arbeitskreis von Freunden guter deutscher Dichtung und Literatur veranstaltete von Anbeginn in verschiedenen Orten Deutschlands Tagungen, oft über mehrere Tage, bei denen zeitgenössische Dichter und Schriftsteller aus ihren Werken lesen. Unser Ziel war und ist es nicht, den weltbekannten Schriftstellern, die im Fernsehen und in den führenden Zeitungen gepriesen werden, zu huldigen, sondern den sonst oft vergeblich um Gehörtwerden ringenden Dichtern die Gelegenheit zu geben, mit aufmerksamen Hörern und passionierten Lesern zusammenzukommen. Das Besondere an diesen Zusammenkünften ist die persönliche Atmosphäre, in der die Autoren, auch über die Lesung hinaus, bei gemeinsamen Mahlzeiten, Spaziergängen und geselligen Abenden mit ihren Hörern und Lesern ins Gespräch kommen. Nicht nur die Zuhörenden, sondern auch die Dichter selbst schätzen diese Begegnungen. Viele Dichter, die erstmalig in diesen Kreis kamen, sind von der geistigen Lebendigkeit der Teilnehmer überrascht und kommen dann immer gerne wieder. Einige wurden spontan Mitglied.
Als der Arbeitskreis im Jahre 1957 seine Arbeit begann, konnte niemand wissen, wie sich Literatur und Kunst in den folgenden Jahrzehnten in Deutschland entwickeln würden. Zunächst galt es, den Dichtern wieder ein Forum zu geben, die aus der Bahn geworfen waren und Rundfunk und Presse keine Erwähnung fanden. Hauptanliegen war und blieb die Förderung und Pflege wertvoller deutscher Dichtung und Literatur, die nicht von Effekthascherei und Mode bestimmt, ihre Leser positiv stimmt und aufbauend wirkt. So hat auch das Gedicht in unsem Programm immer einen breiten Raum eingenommen. Häufig kamen die vertriebenen ostdeutschen Autoren zu Wort, wie auch die Dichtung Ostpreußens, Pommerns und Schlesiens in Vorträgen gewürdigt wurde. In der Gegenwart werden regelmäßig rußlanddeutsche Schriftsteller zu Lesungen eingeladen. Es gab Tagungen mit allein Niederdeutsch schreibenden Autoren. Einige Male hatten bei einer Tagung nur Jugendbuch-Verfasser zu Gast. Doch meistens ist es ein bunter Reigen, der jedem Teilnehmer etwas bringt.


Dr. Walther Jantzen

Hinrich Jantzen

Paul Kurt Herrmann

Gero Kutzleb

Im Jahre 1957 rief Walther Jantzen mit großem Erfolg zur Gründung des Arbeitskreises in Göttingen auf, wo dieser auch heute noch beheimatet ist. Der Germanist wurde 1928 mit dem Thema »Die lyrische Dichtung in der Jugendbewegung« promoviert. Das brachte ihn mit zahlreichen Dichtern – nicht nur aus der Jugendbewegung – in Verbindung. Mit einigen entwickelte sich ein reger brieflicher Austauch. Als nach dem Zweiten Weltkrieg eine Fülle, zum Teil wenig qualitätvoller Bücher in Massenauflagen den Markt überflutete, wollte Walther Jantzen eine Möglichkeit schaffen, die dem ernsthaften Leser eine Orientierungshilfe auf dem unübersehbaren Büchermarkt bieten sollte. Mehrere Jahre lang bewegte er den Gedanken, einen Arbeitskreis literarisch interessierter Menschen zu schaffen, der seinen Mitgliedern Begegnungen mit Dichtern ermöglichen sollte und sie über wertvolle Neuerscheinungen mit kurzen, aber inhaltsreichen Buchbesprechungen informiert.
Walther Jantzen hatte nach der Kriegsgefangenschaft eine Anstellung als Burgwart der Jugendburg Ludwigstein gefunden, deren Wiederausbau er maßgeblich leistet. Nebenher schrieb er selbst und brachte drei Bücher und eine Reihe von Aufsätzen heraus. Zugleich war er auch Schriftleiter der Ludwigsteiner Bläter. In der Zeit von 1948 bis 1958 erreichte er es, daß die unterschiedlichsten Jugendgruppen, die auf Ludwigstein einkehrten, das Gemeinsame der Jugendbewegung begriffen und zusammenfanden. Worin dieses Gemeinsame besteht, kann wohl nur der recht begreifen, der es erlebt hat. Aber es lebt in Liedern und Gedichten fort, die allen, denen das Alter keine Fahrten und Kohtenübernachtungen mehr erlaubt, teuer sind, aber auch jenen, die diese Welt verpaßten, zu einem neuen Sinn für Gemeinschaft und gemeinsames Tun verhelfen können.
Durch den großen Freundes- und Bekanntenkreis von Walther Jantzen und seiner Frau Marga wurde der Gründungsaufruf ein großer Erfolg. Am 5. Januar 1957 trafen sich sieben Aktivisten im Haus der Familie Hartmann in Göttingen und waren sich einig, daß Walther Jantzen Vorsitzender und Walter Hartmann Organisator und Kassenführer sein sollten. Moritz Jahn wurde gebeten, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Von einer Vereinssatzung und der Festlegung von Kompetenzen wurde zunächst abgesehen.
Die ersten Treffen waren gleich ein voller Erfolg. Es stand jeweils nur ein Dichter im Mittelpunkt der von Sonnabendmittag bis Sonntagmittag dauernden Veranstaltung. Der Dichter las aus seinem Werk, andere Dichter sprachen über den Autor und sein Werk. Beim festlichen Abendessen im Rittersaal der Burg Ludwigstein und abendlichen Rundgespräch konnten die Gäste mit den Dichtern ins Gespräch kommen. Bis zu 130 Teilnehmer kamen zu den Wochenendtagungen zusammen. Der bis heute geübte Brauch, Dichter und Leser mit Freundesgaben zu erfreuen und zu ehren, wurde bereits bei der ersten Zusammenkunft geübt, Heinz Steguweit erhielt eine kleine Festschrift zu seinem 60. Geburtstag mit einem Werkverzeichnis, einem Lebensbericht und einer Würdigung durch Walther Jantzen.
Von Anbeginn an wurden Buchbesprechungen auf Karteikarten gedruckt und allen Mitgliedern zugesandt. In Rundbriefen erhielten die Mitglieder Berichte über die Dichter-Tagungen und Nachrichten über die dem Kreis nahestehenden Autoren und über andere literarische Vereinigungen und Veranstaltungen.
Bald kamen zu den Treffen auf der Burg Ludwigstein auch Tagungen an anderen Orten. Zunächst waren es drei Tagungen im Jahr. Dann fanden dann auch jeweils zwei und mehr Dichterlesungen an einer Wochenendtagung statt.
Als die von Alfred Töpfer geplante und gestiftete Altwandererherberge »Hans-Breuer-Haus« in Inzmühlen in der Lüneburger Heide entstanden war, tagte dort in dem schönen Niedersachsenhaus ab 1962 regelmäßig, meist im Herbst zur Heideblütenzeit. Dem Hans-Breuer-Haus stiftete der Arbeitskreis eine von Walther Jantzen zusammengetragene Bibliothek zum Thema »Jugendbewegung und Dichtung« Sie enthält Werke, die von der frühen Jugendbewegung, vor allem dem Wandervogel, starke Impulse erhielten und Werke von Mitgliedern der Jugendbewegung ohne Ansehen von literarischem Rang und politischer Einstellung. Außerdem Werke von Dichtern des 20. Jahrhunderts, die sich dazu bekennen, daß ihr Erlebnis des Jugendbundes für bestimmte Werke prägend oder ganz entscheidend war.
Bis zum Tod Walther Jantzens im Jahre 1962 erschienen 18 Freundesgaben, die der Arbeitskreis deutschen Dichtern widmete. Der Verlust dieser überragenden Persönlichkeit und ihres Schaffensdrangs löste tiefe Betroffenheit aus. In einer Gedenkschrift wurden zahlreiche Nachrufe veröffentlicht, die ahnen lassen, daß dieser Mensch für viele Suchende in Deutschland, aber auch im Ausland, ein ganz wesentliches Erlebnis wurde. Er galt als Garant für eine Kontinuität, die man sonst im geistigen Leben vermißte.
Sein Sohn Hinrich und seine Frau Marga übernahmen nun die Fortführung des Arbeitskreises, der auf 360 Mitglieder angewachsen war. Literarisches Interesse und schriftstellerische Begabung hatten sich auf den Lehrer und Schulleiter glücklich vererbt. Hinrich Jantzens großes Verdienst ist die Herausgabe des fünfbändigen Sammelwerks »Namen und Werke«. Darin werden bedeutende Menschen aus den Bünden der Jugendbewegung mit Lebenslauf und ihren Leistungen vorgestellt. Unter Hinrich Jantzens Leitung fanden ebenso viele Tagungen des Arbeitskreises wie in Jahren zuvor statt. Er gab zehn weitere Freundesgaben für Dichter und ein Gedenkheft für Walther Jantzen heraus. Bei einer ersten offiziellen Mitgliederversammlung am 20 November 1966 auf der Burg Ludwigstein gab sich der Arbeitskreis eine Satzung und beschloß, die Eintragung in das Vereinsregister mit dem Sitz in Göttingen zu beantragen. Als Vorsitzender wurde Paul Kurz Herrmann (Göttingen) gewählt, stellvertretender Vorsitzer Walter Hartmann (Göttingen). Weitere Vorstandsmitglieder waren Hans-Joachim Sander (Ahlshausen), Mithilde Schlippe (Göttingen) und Johannes Schwenk (Esslingen). Moritz Jahn wurde Ehrenvorsitzender.
Das »Haus der Heimat« in Hedemünden wurde neben der Burg Ludwigstein immer häufiger als Tagungsstätte genutzt. Weitere häufige Tagunssorte waren die Burg Stettfels bei Heilbronn, Weikersheim an der Tauber, Friedrichsdorf am Taunus und weiterhin das Hans-Breuer-Haus in Inzmühlen. Daneben gab es viele weitere Tagungsorte, die nur einmal genutzt wurden.
Paul Kurt Herrmann war zwar schon in den ersten Jahren in den Arbeitskreis eingetreten, aber er war der erste und lange Zeit einzige Vorsitzende, der nicht aus der Jugendbewegung kam. Er konnte das Gemeinschaftsgefühl der überwiegenden Mehrzahl der Mitglieder nicht gut nachvollziehen. Das führte gelegentlich zu skurilen Mißverständnissen und manchmal zu Kontroversen mit dem 2. Vorsitzende Walter Hartmann. Doch Paul Kurt Herrmann brachte beachtliche literarische Kenntnisse mit und leitete den Arbeitskreis mit großem ideellen und materiellen Einsatz. Beruflich war er Verkaufsdirektor der Herzberger Papierfabrik, für die er viel aus Reisen gehen mußte, welche er nebenbei nutzte, um in weiten Teilen Deutschlands Verbindungen zu Dichtern und Schriftstellern aufzunehmen.
Als er in den Ruhestand trat, zog er nach Göttingen und hielt dort ein gastfreies Haus, in dem der Vorstand des Arbeitskreises zusammentraf, und in das er häufig Autoren, auch zum übernachten, einlud, die zu Lesungen im Arbeitskreis kamen oder für Lesungen gewonnen werden sollten. Zu Autorenlesungen im Hause Hartmann wurden oft auch die Göttinger Mitglieder des Arbeitskreises eingeladen.
Paul Kurt Hermann führte dem Arbeitskreis viele neue Autoren zu, nicht ohne vorher ausführlich ihre Werke studiert zu haben. Der Arbeitskreis hatte nun fast 450 Mitglieder.
Nach dem Rücktritt von Paul Kurt Herrmann übernahm Gero Kutzleb, Sohn des Schriftstellers Hjalmar Kutzleb, den Vorsitz. Er wurde 1915 in Berlin geboren und wuchs in Minden auf. Bis 1934 gehörte er der Deutschen Freischar an, er arbeitete wenige Jahre als Dorfschullehrer und studierte in Köln Theaterwissenschaften, ehe er als Soldat in den Krieg mußte. Nach Kriegsende war er Schauspieler und Dramaturg am Landestheater in Meiningen, bis er in die Bundesrepublik übersiedelte. Er schrieb selbst Gedichte und veröffentlichte einen Band. Auch er versuchte als Vorsitzender für den Arbeitskreis neue, vor allem auch jüngere Autoren zu gewinnen.
Im Jahr 1977 wurde Hans-Joachim Sander zum Vorsitzenden des Arbeitskreises für deutsche Dichtung gewählt.
Die Lebensdaten des Südniedersachsen reichen von 1921 bis 2004. In einem ländlichen Schulhaus aufgewachsen – schon sein Vater war Schulmeister – trug Hans-Joachim Sander die Gabe und den Antrieb eines Pädagogen im Blut. Als Pfadfinderführer wirkter er außerhalb der Schule für die Erziehung der Jugend. Wie so viele in den Strudel des Krieges gerissen, lernte der junge Mann als Soldat und Offizier Verantwortung tragen. Auf solche Menschen kommen die Aufgaben zu. Nach einer Begegnung mit Walther Jantzen auf Burg Ludwigstein schloß sich Sander früh dem Arbeitskreis an, gehörte bald zum Vorstand und übernahm in einer Stunde, in der die künftige Ausrichtung unklar und fragwürdig schien, entschlossen die Führung.
Mit Hans-Joachim Sanders Wahl begann eine lange, fruchtbare Epoche, in der der Arbeitskreis und sein Wirken von der Persönlichkeit des Vorsitzenden stark geprägt wurden. Mit vollem Einsatz widmete er sich dieser Aufgabe, gab entschieden die Richtung an. Er wollte keinen literarischen Verein, sondern eine kämpferische Gemeinschaft im Widerstand gegen Tendenzen des Zeitgeistes, gegen Verflachung und Sprachverfall. Er sah darin vornehmlich eine kulturpolitische Aufgabe. So wie es der Mitbegründer und Schirmherr Moritz Jahn über die Zielsetzung des Arbeitskreises geschrieben hatte:
»Was uns zusammengeführt hat, war die Besorgnis über die Entwickung der gegenwärtigen deutschen Literatur, war die Beobachtung, daß in ihr gerade jene Werte veneint oder unterdrückt würden, die wir als wesenhaft deutsch empfinden. Wir wehren uns gegen die Abwertung der Tradition, gegen das Totschweigen oder Verächtlichmachen großer Namen der Vergangenheit und ihrer Nachfolger in der Gegenwart.«
Hans Joachim Sander sagte dazu im März 1992: »Wäre der Arbeitskreis nicht schon 1957 ins Leben gerufen, müßten ihn verantwortlich denkende Deutsche heute gründen, weil die überflutung mit trivialsten Sprachmachwerken ein fast nicht mehr steigerndes Maß erreicht hat.«
Was dieser Vorsitzende einzubringen hatte, war viel: die Fähigkeit zu führen, die Kraft einer idealen Gesinnung, Kompetenz in der Sache und die Gabe, Gemeinschaft zu stiften und zu erhalten – ein Glücksfall für den Kreis. Und als er sich bald darauf pensionieren lassen konnte, wurde ihm der Arbeitskreis vollends zur Lebensaufgabe. So unterhielt er regen Briefwechsel und führte viele Telephongespräche mit Dichtern und Mitgliedern. Er nahm immer wieder Anteil an deren persönlichem Ergehen, bei Einsamkeit, Trauer und Freude.
Nachdem das Hans-Breuer-Haus in Inzmühlen und das Haus der Heimat in Hedemünden nicht mehr vorhanden waren, wurden Einbeck und Duderstadt die festen Tagungsstätten für jährlich drei Tagungen unter Sanders Leitung neben den Veranstaltungen in Süddeutschland. Vor jeder Lesung wurde der Vortragende von Hans-Joachim Sander in freier Rede sachkundig eingeführt. Seine verbindlichen und ehrenden Worte anschließend, seine einleuchtenden überleitungen zum nächsten Beitrag waren kaum zu übertreffen und zeugten von umfangreichem Wissen und hoher Belesenheit. Bei geringerer Vortragsgüte zeigte er Großherzigkeit und ehrte das Bemühen.
Zwei Jahre vor seinem Tod nahm ihm die Krankheit endgülig das Ruder aus der Hand. Dankbar richteten seine Mitstreiter anläßlich seines 80. Geburtstages auf der Frühjahrstagung 2001 in Einbeck eine Feier aus. über die dabei überreichte Freundesgabe konnte er tiefe Freude empfinden. Unter seiner geschickten und kraftvollen Führung gab es keine zwischenmenschlichen Probleme, und der Arbeitskreis wurde für viele Mitglieder ein Freudeskreis. Wohl hat Sander den altersbedingten Rückgang der Mitgliederzahlen noch erlebt, und er hat darunter gelitten, aber aufgeben konnte er nicht, da zu seinem empfindsamen Gemüt sich doch auch die preußische Grundtugend des »Dennoch« gesellte. Sein Tod hinterließ eine Lücke, die bis heute nicht geschlossen ist.
Nachfolger im Amt des Vorsitzenden wurde Wolf-Dieter Tempel. 1937 in Celle geboren und dort aufgewachsen, war er wie sein Freund Hans-Joachim Sander im Pfadfinderbund tätig. Nach einer Ausbildung zum Landschaftsgärtner studierte er in Tübingen und Göttingen kulturgeschichtliche Fächer und ist seit 1970 in Niedersachsen Archäologe. Seine Mitwirkung in verschiedenen Vereinigungen, so wie der von ihm begründeten Archäologischen Gesellschaft Rotenburg, galt immer der Vermittlung von Heimatbewußtsein und Geschichte, besonders von Ur- und Frühgeschichte. Wegen seiner ausgeglichenen Art und seinem Vermittlungsgeschick wurde er in verschiedene Beiräte und Vorstände von Fach- und Heimatvereinigungen berufen. Er trat dem Arbeitskreis 1967 bei gehörte von 1969 bis 1973 schon einmal dem Vorstand an.


Hans Joachim Sander

Dr. Wolf-Dieter Tempel

Gabor Schuster

Uwe Lammla

Da seine sonstigen Verpflichtungen erheblich sind und er nicht die Kraft seines Vorgängers in den Arbeitskreis einbringen kann, betonte Wolf-Dieter Tempel schon bei seiner Wahl, er sei lediglich eine Übergangslösung, um den Bestand des Arbeitskreises zu sichern. Doch die fortschreitende Überalterung des Arbeitskreises verminderte nicht nur die Mitgliederzahl kontinuierlich, es war auch keine Persönlichkeit in Sicht, der man einen Generationswechsel und damit ein Überleben des Arbeitskreises zutrauen konnte. Aus der Zwischenlösung wurde ein immer wieder verlängertes Hoffen und vielleicht ein Ausharren auf verlorenem Posten. Immer mehr Mitglieder sahen in dem Arbeitskreis ein historisch bemessenes Phänomen, eben als einen Zusammenschluß alt gewordener Jugendbewegter. Natürlich wußte jeder, daß die Gründe, die zur Gründung geführt hatten, inzwischen in unvergleichlich stärkerem Maße vorhanden waren. Aber wenn die jüngeren Generationen da nichts tun und bewegen wollten – hatte man nicht lange genug gekämpft und standgehalten, durfte nicht zuletzt die Sehnsucht nach Frieden und Abschied ihr Recht fordern? Auch wenn es ein falscher Frieden war? Auf der Frühjahrstagung 2012 wurde der Wunsch nach Auflösung des Vereins laut. Man argumentierte, es sei würdevoller, die Auflösung zu beschließen, solange man noch ein Minimum an Stattlichkeit vorhanden sei, als die Praxis der Tagungen bis zur Insolvenz fortzuführen.
Diese Verzagtheit stieß auf den entschiedenen Widerstand einiger Stimmen, die im Arbeitskreis für Enkel oder gar Urenkel gelten dürfen. Gabor Schuster, Buchhändler und Antiquar in Salzburg und mit jungen Leuten regelmäßig auf Fahrt, hielt eine flammende Rede, man dürfe die Generation, die nicht mehr von D-Mark und Wirtschaftswunder geprägt sei und auch die Ideen von 1968 leidenschaftlich ablehne, nicht allein lassen. Mit dem Arbeitskreis verliere man ein Forum in Zeiten, wo die Möglichkeiten, sich mit der deutschen Tradition produktiv zu befassen, fortwährend beschnitten würden. Sollte die Sehnsucht, sich aufs Altenteil zurückzuziehen, einen Ruch von Landesverrat haben? Gabor Schuster wurde zum neuen Vorsitzenden gewählt und entfaltete eine Vielzahl von Aktiviäten. Er schuf eine neue Zeitschrift mit dem Namen »Klingsohr« und veranstaltete Dichterlesungen mit jüngeren Autoren und Teilnehmern in Süddeutschland. Aber abgesehen von der Entfernung vom Vereinsschwerpunkt in Niedersachsen, und für alte Leute sind lange Bahnfahrten mit x-fachem Umsteigen durchaus ein Problem, waren auch die Quartiere eher mönchisch oder militärisch zu nennen. Er schonte die Vereinskasse, aber sein Konzept der Selbstversorgung taugt eben nicht für Leute jenseits der Siebzig. Es zeigte sich immer deutlicher, daß seine Tätigkeitsfelder sich mit denen der meisten Mitglieder wenig bis gar nicht überschnitten. Als er dann zu den Jahrestagungen sowohl 2013 als auch 2014 nicht erschien, wurde erneut der Ruf nach der Auflösung des Arbeitskreises laut.
Wolf-Dieter Tempel hat unter dem Vorsitz Gabor Schusters nicht nur unter Mithilfe des Kassenwarts Reiner Niehus weiter die Tagungen in Einbeck organisiert, er hat auch zahllose Leute angeschrieben, telephoniert und geforscht, ob sich nicht irgendwo ein Nachfolger findet. Die meisten waren zu alt oder hatten gesundheitliche Probleme, einige jüngere Kandidaten vertrösteten auf die Zukunft, in einen paar Jahren vielleicht, wenn man dies oder jenes hinter sich gebracht hätte. Auf der Einbecker Tagung 2013 sagte ihm der Dichter Uwe Lammla, den er erst 2012 zum Eintritt in den Arbeitskreis geworben hatte, zu, er würde den Vorsitz übernehmen, wenn keine andere Möglichkeit bliebe, die Auflösung des Vereins zu verhindern. Nachdem sich bis zum Frühjahr 2014 keine Alternative abzeichnete, kam er auf Lammlas Bereitschaft zurück. Uwe Lammla stellte sich zur Wahl unter der Bedingung, daß Wolf-Dieter Tempel und Reiner Niehus für eine Übergangszeit weiter unterstützend im Vorstand blieben. Es wurde im Block gewählt, das Ergebnis fiel knapp aus, aber Uwe Lammla ist neuer Vorsitzender.
Uwe Lammla ist mit 53 Jahren das einzige Mitglied, das jünger als 70 und älter als 30 ist. Daß dies zur Vermittlung und konstruktiven Zusammenführung der Welten ausreiche, glaubt freilich niemand. Uwe Lammla ist nicht nur Dichter, er betreibt einen Verlag und gibt eine Literaturzeitschrift heraus. Es wird ihm zugetraut, daß er Leute aus seiner Generation für die Sache des Arbeitskreises gewinnt und damit eine allmähliche Verjüngung einleitet. Außerdem hat Lammla verschiedene Konzepte vorgestellt, wie künftig Kosten gespart werden können, ohne daß diese Sparmaßnahmen als Radikalentsagung daherkommen. So könnte der Arbeitskreis auch bei weiter sinkenden Mitgliederzahlen überleben, bis eine Trendwende eintritt. Das entscheidende ist aber, daß Uwe Lammla fest an die kommende Trendwende glaubt. Die Fahrenden mit Gabor Schuster sind kein Einzelfall. Es gibt allerlei Gruppen, die sich von herrschenden Niedergang abwenden und dabei Geist und Tradition hochschätzen. Aber diese jungen Leute haben niemals gelernt, sich zu organisieren. Die Generation der jetzt 50jährigen muß Strukturen schaffen, in die sich die jungen Leute einbringen können, bis sie selber Führerfiguren hervorbringen. Die Autoriät einer fast 60jährigen Instituion ist gewaltig. Man muß sie erhalten und mit neuem Leben füllen.